Nach der Wahl – «Italien befindet sich in einer Blockade-Situation»

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Nach der Wahl«Italien befindet sich in einer Blockade-Situation»

Die Fünf-Sterne-Bewegung triumphiert, aber braucht Hilfe, die sie nie wollte. Wer jetzt mit wem regieren könnte, erklärt Italien-Kenner Udo Gümpel.

Herr Gümpel, Italien hat gewählt und doch kein Resultat. Zeitungen titelten: «Italien unregierbar.» Ist Italien unregierbar?
Nein, das glaube ich nicht. Die Entscheidung der Wähler fordert die Parteien, die die größten Schnittmengen haben, sich zusammenzutun. Nur: Im Augenblick will ja keiner mit dem anderen etwas zu tun haben. Ich gehe davon aus, dass es eine monatelange Hängepartie gibt. Was Italien gerade erlebt, ist ein großer Umbruch.

Mit wem ist nicht mehr zu rechnen?
Die Zeit des schillernden Medienmoguls Silvio Berlusconi ist zu Ende. Er hat innerhalb seiner Mitte-rechts-Allianz eindeutig verloren und mit 14 Prozent der Stimmen schlechter abgeschnitten als erwartet. Die Fäden hat nun Lega-Chef Matteo Salvini (18 Prozent) in der Hand – der bereits das Recht der Regierungsbildung für sich beanspruchte. Allerdings fehlt dem Bündnis voraussichtlich die Mehrheit im Parlament. Ebenfalls passé ist PD-Chef Matteo Renzi, der heute Abend seinen Rücktritt offiziell bekannt gab. Vor drei Jahren noch gefeierter Politstar hat er alles an die Wand gefahren und zu viele Versprechen nicht einhalten können.

Erleben die Sozialdemokraten eine ähnliche Krise wie in Deutschland und Frankreich?
Ja, genau so. Aber hier ist sie noch verschärft wegen dieses unglaublichen Personenkults um Matteo Renzi.

Was haben die Sozialdemokraten für ein Problem?
Sie haben lange Zeit unterschätzt, wie es um die Stimmung zur Migration steht und dass die Bevölkerung große Angst um Arbeitsplätze hat. Wirtschaftlich hat die PD-Regierung eigentlich eine gute Bilanz. Aber da ist einfach der enorme Antipathiefaktor um Renzi. Die Leute können ihn nicht mehr sehen.

Welche Optionen bleiben den italienischen Sozialdemokraten noch?
Sie müssen einen Parteitag abhalten, auf dem sie sich wieder auf die klassischen demokratischen Strukturen besinnen. Renzi hatte diese abgeschafft. Weiter müssen sie sich wieder darüber klar werden, wen sie vertreten – nämlich die arbeitende Bevölkerung.

Gewinner des Machtkampfes ist klar die populistische Fünf-Sterne-Bewegung.
Ein politisches Chamäleon, man weiß nicht, wofür sie steht. Aber sie hat das Land jetzt in der Hand, ist mit 32 Prozent die eindeutig stärkste Partei und repräsentiert dem Ergebnis nach den gesamten Süden und Mittelitalien.

Eine Mehrheit erreicht auch die Protestbewegung nicht. Aber wie sie selber ankündigt, werden «alle mit uns reden müssen». Welche Koalition ist denkbar?
Die einzige denkbare Koalition, bei der es theoretisch noch Überschneidungen gibt, ist zwischen einer neuen demokratischen Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung. Ob das jedoch stattfindet, hängt davon ab, ob die Parteien ihre Haltung ändern. Di Maio wollte nie Kompromisse eingehen und auf alles oder nichts setzen, Renzi hatte geschworen, nie mit den «Extremisten» zu koalieren. Im Grunde hat Italien eine Blockade-Situation, wie wir sie aus Deutschland kennen.

Was, wenn sich die Parteien nicht einigen?
Dann haben wir im Herbst Neuwahlen.

Die Italiener hatten in 72 Jahren 64 Regierungen, sind sich auch technokratische Übergangsregierungen gewohnt. Wer regiert, bis eine neue Partei die Führung übernimmt?
Die Regierung unter Gentiloni ist ja nicht zurückgetreten. Sie ist also geschäftsführend und nach wie vor im Amt – aber sie hat natürlich keine Mehrheit im Parlament und würde folglich auch keine wichtigen Entscheidungen treffen.

Wie geht es konkret weiter?

Nach dem endgültigen Wahlergebnis tritt der Staatspräsident mit allen Parteien ins Gespräch. Dann entscheidet er, wem er den Auftrag zur Regierungsbildung gibt. Das ist nicht automatisch der mit den meisten Stimmen, sondern der, der ihm garantieren kann, auch eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Möglich wäre etwa die Fünf-Sterne-Bewegung. Dafür braucht sie aber die Demokraten.

(L'essentiel/kko)

Udo Gümpel ist langjähriger Italien-Korrespondent für n-TV und RTL. (Foto: Facebook)

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