Vergeltung in Syrien«Achtung Russland, Raketen werden kommen»
Der mutmaßliche Giftgasangriff auf die syrische Stadt Duma verhärtet die Fronten. Ein Expertenteam soll die Lage vor Ort untersuchen.

Donald Trump hat als Vergeltung für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien mit einem Raketenangriff gedroht.
Angesichts eines drohenden Vergeltungsschlags der USA und Frankreichs hat die syrische Regierung am Dienstag internationale Experten gebeten, den mutmaßlichen Chemiewaffenangriff in Ost-Ghuta zu untersuchen. Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) kündigte daraufhin an, «bald» ein Expertenteam in die Stadt Duma zu schicken.
Die OPCW erhielt laut Staatsmedien eine «offizielle Einladung» der Regierung, um Vorwürfe zu prüfen, die syrische Armee habe in der Stadt Duma Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt. Ein Team solle «bald» in der Rebellenhochburg zum Einsatz kommen, teilte die OPCW nun in Den Haag mit. Laut korrigierten Angaben der Hilfsorganisation Weißhelme sollen beim mutmaßlichen Giftgasangriff mindestens 42 Menschen getötet worden sein. Mehr als 500 Personen wurden demnach in Krankenhäusern behandelt. Zunächst war die Rede von rund 150 Toten und mehr als 1000 Verletzten gewesen.
Das US-Außenministerium teilte am Abend mit, Kenntnis von mindestens 85 Todesopfern zu haben. Die UNO sprachen unter Berufung auf Berichte von mutmaßlich 49 Getöteten und Hunderten Verletzten. Auf welche Berichte sich das UNO-Büro für Abrüstung dabei berief, war aber unklar.
Resolutionen gescheitert
Im UNO-Sicherheitsrat scheiterten am Dienstagabend zwei Resolutionen zu den mutmaßlichen Giftgasangriffen. Zunächst verhinderte Russland bei der Sitzung am Dienstag in New York per Veto einen Entwurf der USA zu der Frage, wie genau der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien untersucht werden soll. Auch Bolivien stimmte dagegen, China enthielt sich.
Danach stimmten unter anderem die USA und Großbritannien gegen einen russischen Resolutionsentwurf. Russland und die USA sind – gemeinsam mit China, Frankreich und Großbritannien – ständige Mitglieder mit Veto-Recht im Sicherheitsrat und können mit ihrem Veto jede Resolution zu Fall bringen.
Moskau, das im Syrien-Konflikt auf der Seite der Regierung von Machthaber Bashar al-Assad steht, hatte zuvor bereits elf mal mit seinem Veto UNO-Resolutionen zu Syrien blockiert.
«Starke Reaktion»
Die Regierung von Bashar al-Assad hatte bei einer ersten Sitzung des Sicherheitsrats am Montag alle Vorwürfe zurückgewiesen und dem Westen vorgeworfen, die Angriffe selbst inszeniert zu haben, um einen Vorwand für eine Intervention zu schaffen. Auch Russland erklärte, Experten hätten keinen Hinweis auf Chemiewaffen in Ost-Ghuta gefunden.
Die westlichen Staaten sehen dagegen starke Hinweise für den Einsatz von Giftgas. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und US-Präsident Donald Trump drohten nach einem Telefonat am Dienstag erneut mit einer «starken Reaktion» der Weltgemeinschaft.
Bei einem möglichen französischen Angriff wären die Chemiewaffen der syrischen Regierung das Ziel, sagte Macron am Dienstagabend. Auf keinen Fall würden die Verbündeten der syrischen Regierung, russische oder iranische Einheiten, angegriffen. Die Entscheidung über einen Angriff in Syrien werde «in den nächsten Tagen» bekannt gegeben.
Moskau warnt
Trump sagte überraschend eine für Ende der Woche geplante Lateinamerikareise ab, um «die amerikanische Antwort auf Syrien zu beaufsichtigen», wie das Weiße Haus mitteilte. Trump hatte vor einem Jahr bereits als Vergeltung für einen Giftgaseinsatz in der nordsyrischen Stadt Khan Sheikhun einen Raketenangriff auf eine syrische Luftwaffenbasis angeordnet.
Der russische UNO-Botschafter Nebensja warnte, der Regierung in Washington sei mitgeteilt worden, dass ein US-Militärschlag schwerwiegende Folgen hätte. Russland unterstützt den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad im Bürgerkrieg und unterhält auch Stützpunkte in Syrien.
Die syrischen Regierungstruppen wurden in Erwartung eines Angriffs für die Dauer von 72 Stunden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Die Armee verstärke ihre Stellungen und bereite die Verlegung von Truppe vor, erklärte die Organisation, die über ein großes Netz von Informanten verfügt.
Maßenflucht
Duma war bereits im August 2013 von einem verheerenden Giftgasangriff mit bis zu 1400 Toten getroffen worden. Heute ist Duma die letzte Bastion der Rebellen in Ost-Ghuta, doch sagte am Sonntag die Rebellengruppe Jaish al-Islam den Abzug ihrer verbleibenden Kämpfer zu.
In einem von Rebellen kontrollierten Gebiet im Nordwesten nahe der Stadt Aleppo trafen am Dienstag 67 Busse mit Zivilisten und Kämpfern aus Duma ein. Der regierungsnahen Zeitung «Watan» zufolge sollen 40.000 Kämpfer und deren Familien Duma verlassen. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind in den vergangenen vier Wochen über 133.000 Menschen aus Ost-Ghuta geflüchtet.
(L'essentiel/chi/sep/sda)