EU-GipfelAsselborn kritisiert «erbärmliche» Machtspiele
Luxemburgs Außenminister warnt die europäischen Staatenlenker: Dass sie bei der Personalie Juncker auf Zeit spielen, sei ein fatales Signal an die Bürger.

Jean-Claude Juncker im Wellental der Gefühle. Die Entscheidung, ob er Kommissionspräsident wird, ist noch lange nicht gefallen.
DPAJean-Claude Juncker muss gestern durch ein Wellental der Gefühle gegangen sein. Am Vormittag gaben ihm die großen Fraktionen im Europaparlament noch Rückendeckung, um sich Mehrheiten für seine Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten zu suchen. Doch nach dem EU-Gipfel am Dienstagabend spürt der konservative Sieger der Europawahl nun wieder starken Gegenwind. Der Luxemburger Juncker muss sich deshalb auf eine wochen- oder monatelange Zitterpartie einstellen.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat die Machtspiele der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch kritisiert. «Es ist ernüchternd bis erbärmlich», stellte der LSAP-Politiker im Deutschlandfunk fest. Asselborn kritisierte vor allem die konservativen Regierungschefs von Ungarn, Viktor Orban, und insbesondere David Cameron, den britischen Premier, die Widerstand gegen die Personalie Juncker angemeldet haben. Asselborn unterstellte den europäischen Konservativen, nicht geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten Juncker zu stehen. «Hier wird auf Zeit gespielt, gegenüber den Bürgern ist das ein fatales Signal.» Mit dem Luxemburger sei bereits eine Lösung am Tisch gelegen, nachdem ihm das Europaparlament gestern grünes Licht gegeben hatte, sich Mehrheiten zu suchen. Stattdessen erteilten die «Chefs» dem Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy den Auftrag, mit dem Parlament über die Toppersonalie zu verhandeln.
Nächste Etappe Ende Juni
«Ich habe Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten unterstützt. Das habe ich nach dem Wahltag nicht vergessen», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Unter den Staats- und Regierungschefs werde es aber darüber noch Diskussionen geben. «Wir müssen dafür sorgen, dass wir im (Europäischen) Rat gut miteinander arbeiten können», sagte sie. Nächste Etappe im Postenpoker ist der kommende Gipfel am 26. und 27. Juni.
Der liberale luxemburgische Premier Xavier Bettel kritisierte die abwartende Haltung von Gipfelkollegen: «Wenn man sich auf einen Spitzenkandidaten geeinigt hat, dann muss man das auch respektieren. Ich habe Schwierigkeiten, draußen zu erklären, dass man sich jetzt nicht einig ist über das Wer, Was und Wo.» Er fügte aber hinzu: «Besser als heute eine Abstimmung mit Spaltung der 28 ist es, sich Zeit zu geben und dann das Resultat zu respektieren.»
«Ausgewogenes Paket» notwendig
Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag die stärkste Kraft mit 213 Sitzen im Parlament. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze). Juncker als Wahlgewinner kommt nicht automatisch zum Zug. Nach den Gesprächen mit dem Parlament wird Van Rompuy den «Chefs» einen Personalvorschlag machen. Das Parlament muss dann dem Kandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen.
Da Rechtspopulisten und Euro-Skeptiker gestärkt aus der Europawahl gingen, wird eine große Koalition in der Brüsseler Machtzentrale wahrscheinlicher. «Wir wissen, dass keine Parteiengruppe alleine eine Mehrheit hat. Das heißt, es wird darum gehen, eine breite Mehrheit zu finden», so Kanzlerin Merkel.
Der EU-Kommissionschef ist nur einer von mehreren Spitzenposten auf EU-Ebene. Dazu gehören der EU-Ratsvorsitzende, der die EU-Gipfel leitet, der EU-Außenbeauftragte und möglicherweise auch ein hauptamtlicher Chef der Euro-Finanzminister. Ein Paket müsste ausgewogen sein, etwa mit Blick auf Herkunft oder Geschlecht.
Rechte sorgen für Unruhe
Der Wahlgewinn der rechtsextremen Front National in Frankreich und der Erfolg der rechtspopulistischen UKIP in Großbritannien sorgten für Unruhe bei dem Gipfel.
«Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist», meinte der britische Premier David Cameron. Der französische Staatschef François Hollande sagte: «Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren», forderte er. Van Rompuy wird mit den Staatenlenkern über eine neue strategische Agenda der EU für die nächsten Jahren sprechen. Dabei gehe es vor allem um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Arbeitsplätze.
(jt mit dpa/L'essentiel)