FlüchtlingsdramaAylan und Ghalib sterben einsam im kalten Mittelmeer
Die Flucht vor dem Terror des IS gelang Aylans Familie. Doch als ihr Asylantrag in Kanada abgelehnt wird, steigen sie aus Verzweiflung auf ein Schmuggler-Boot nach Kos.

Vor einem Jahr wollte Familienvater Abdullah nur eins: Weg aus dem syrischen Kobane, das der IS mit Terror und Blut unterworfen hat, und seine Frau und seine beiden Söhne in Sicherheit bringen. Nun, ein Jahr später kann er an nichts anderes mehr denken, als schnell wieder nach Kobane zurückzukehren. Die Flucht aus dem Kriegsland Syrien gelang, aber sie endete im Mittelmeer. In Kobane will Abdullah nun seine Frau und seine Söhne Aylan, 3 Jahre, und Ghalib, 5 Jahre, beerdigen. Aufgrund des Fotos des toten Aylan ist die Familie zu einem Symbol für das Flüchtlingsdrama geworden.
Wie die kanadische Onlineportal Ottawacitizen berichtet, war der Asylantrag der Familie für Kanada gescheitert, wegen komplizierten Bewerbungsmodalitäten für Flüchtlinge in der Türkei. Dabei hatte Abdullahs Schwester, die seit 20 Jahren in Kanada lebt, schon die Ankuft der Familie vorbereitet. Seit Anfang des Jahres starben bei der Überquerung des Mittelmeeres bereits mehr als 2600 Menschen.
Vater erreicht Strand allein
Die Familie war Dienstagnacht in der Türkei auf ein Schlepperschiff nach Kos gestiegen. Am Mittwochmorgen wird der jüngste Sohn tot an einem südtürkischen Strand nahe des Ferienorts Bodrum gefunden. Schon nach fünf Kilometern kenterte das Boot, die insgesamt fünf Kinder an Bord des Schiffes hatten keine Chance. Auch Rihan, die Mutter von Aylan und Ghalib, ertrinkt im Meer. Familienvater Abdullah konnte seine Familie nicht retten und erreichte erschöpft die Küste.
Das Foto von Aylan ging um die Welt und sorgte für Bestürzung. Der kleine Körper des Jungen, bekleidet mit einem roten T-Shirt und einer kurzen blauen Hose, war an einen Strand im Süden der Türkei gespült worden. Ein junger Polizist nahm die Leiche in die Arme und trug sie davon. Auf einem Foto ist zu sehen, wie der Polizeibeamte seinen Kopf zur Seite dreht, so als wolle er dem traurigen Anblick der Kinderleiche entgehen.
«Die fortgespülte Menschlichkeit»
«Ein Foto, um die Welt zum Schweigen zu bringen», kommentierte die italienische Zeitung La Repubblica das Foto von der im Sand liegenden Jungenleiche. «Der Untergang Europas», schrieb die spanische Zeitung El Periodico in ihrer Onlineausgabe. «Was, wenn nicht dieses Bild eines an den Strand gespülten syrischen Kindes, wird die europäische Haltung gegenüber Flüchtlingen ändern?», fragte die britische Zeitung The Independent auf ihrer Website. Im Kurznachrichtendienst Twitter wurde das Foto unter dem Hashtag in türkischer Sprache #KiyiyaVuranInsanlik verbreitet (Die fortgespülte Menschlichkeit).
Aylan saß in einem von zwei Flüchtlingsbooten, die am Mittwochmorgen auf dem Weg von der türkischen Küste zu einer griechischen Ägäis-Insel sanken. Insgesamt zwölf tote Flüchtlinge aus Syrien, darunter fünf Kinder, wurden von der türkischen Küstenwache geborgen. 15 Flüchtlinge schafften es an Land. Drei Menschen wurden noch vermisst.
In Europa Sicherheit gesucht
Der Notfall-Leiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Peter Bouckaert, erklärte, die Flüchtlinge seien «gestorben, als sie versuchten, in Europa in Sicherheit zu gelangen, indem sie an Bord eines Schmuggler-Boots gingen. Stattdessen endeten sie als die neuesten Opfer von Europas armseliger Antwort angesichts einer wachsenden Krise.»
Seit Jahresbeginn haben schon mehr als 350.000 Flüchtlinge die gefährliche Reise über das Mittelmeer gemacht, um in Europa ein besseres Leben zu finden. Oft schicken Schlepper völlig überladene und seeuntaugliche Boote auf den Weg. Dabei kommen immer wieder Menschen ums Leben.
(sop/L'essentiel/afp)