Gipfel in SingapurDarum wird Kim vor Trump nicht kuschen
Kim Jong-un ist der erste Machthaber Nordkoreas, der einen US-Präsidenten trifft. Wie er das geschafft hat und was er möglicherweise unterschätzt.

«Ein pummeliges Kind, das mit Nuklearwaffen spielt». So wurde Kim Jong-un im Westen oft karikiert, US-Präsident Donald Trump nannte ihn schon «kleinen Raketenmann». Doch Kim hat in den letzten Monaten einen Imagewechsel vollzogen, wurde zum respektierten Strategen. Am 12. Juni nun trifft er Trump zum historischen Gipfel.
Wie Kim es zum Treffen mit Trump geschafft hat und was dabei schiefgehen kann, schätzt Nordkorea-Experte Werner Pfennig von der Freien Universität Berlin für uns ein.
Herr Pfennig, nach jahrelanger Isolation ist Kim plötzlich populär auf dem diplomatischen Parkett: Er reist ins Ausland, trifft internationale Regierungsvertreter und hält nun den Gipfel mit Trump. Warum jetzt?
Bereits in seiner ersten Neujahrsansprache 2013 sprach Kim davon, dass Konfrontation niemandem nütze, Zusammenarbeit mit dem Ausland notwendig sei und die Wirtschaft in seinem Lande verbessert werden müsse. Die fast einhellige Reaktion des Auslandes: Dies seien alles alte Parolen, neue Taten müssten folgen – Nordkorea reagierte mit nuklearer Aufrüstung.
So ist es Kim gelungen, seine Position zu verbessern: Er ist in Nordkorea populär und hat Reformen durchführen lassen. Dennoch fühlten er und sein Staat sich bedroht. Die nukleare Aufrüstung soll das Überleben des Regimes garantieren. Die dadurch erreichte Statusverbesserung machte ihn zum fast notwendigen Verhandlungspartner; die militärische Waffe wurde zum Instrument der Diplomatie: durch Eskalation zur Deeskalation.
Das heißt, Kims Raketentests waren letztlich nur Mittel zum Zweck, um die Verhandlungsposition Nordkoreas zu verbessern?
Nicht nur, denn er kann nicht wissen, wie «die Sache» ausgeht. Er will beides, eine gute Verhandlungsposition und damit das Überleben des Systems sowie durch Kooperation die Wirtschaftslage seines Landes grundlegend verbessern.
Vom mysteriösen Machthaber zum gefragten Staatsmann innerhalb eines halben Jahres. Das ging ziemlich schnell. Wie hat Kim das geschafft?
Etwas mysteriös ist er noch immer. So schnell war es nicht; seit dem Herbst vergangenen Jahres gibt es intensive Bemühungen, eine Normalisierung herbeizuführen. Deutlich sichtbar wurden sie bei den Olympischen Winterspielen. Kim will eine Verbesserung der Beziehungen zu Südkorea und seit der Amtsübernahme dort durch Präsident Moon Jae-in hat er einen in diesem Sinne Gleichgesinnten. Nordkorea verbesserte auch seine Beziehungen zu China. Bei der Nuklear- und Raketenrüstung hat das Land außerdem einen Stand erreicht, bei dem es ernst genommen werden muss.
Warum ist das Gipfeltreffen mit Trump von großer strategischer Bedeutung für Kim?
Ein medienwirksames Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten ist ein Statussymbol, eine internationale Aufwertung. Da es in Singapur erstmalig ein solches geben wird, ist das ein Durchbruch und ein Erfolg für ihn. Kims Ziel ist es, das Überleben seines Regimes zu sichern sowie die Wirtschaft seines Landes schnell und wesentlich zu verbessern.
Was verspricht sich Kim vom Treffen mit dem US-Präsidenten?
Anerkennung, Kennenlernen, Verstehen der jeweiligen Positionen, einen Stufenplan zur Abrüstung, glaubhafte Sicherheitsgarantien der USA, Aufhebung der Sanktionen und einen Friedensvertrag.
Wer würde davon profitieren?
Nicht nur Kim. Davon würde ganz Nordostasien profitieren, vor allem die Menschen auf der Koreanischen Halbinsel.
Kim habe auf den Knien um den Gipfel gebettelt, sagte Rudy Giuliani, Anwalt des US-Präsidenten, letzte Woche. Nun, da der Gipfel wieder stattfinden werde, hätten die USA die Oberhand. Wer geht hier vor wem auf die Knie?
Niemand, das ist verantwortungsloses Gerede. Nordkorea will seit fast ewigen Zeiten mit den USA auf der Basis formaler Gleichrangigkeit verhandeln. Dafür hat Kim mit dem Nuklearstatus seines Landes sowie Konzessionen Voraussetzungen geschaffen, und zwar aufrecht ohne Kniefall, wie es die Trumpisten gern hätten.
Ja, nein, dann doch – was steckte hinter dem Hin und Her um den Gipfel?
Donald Trump hatte spontan zugesagt, dann gab es im Weißen Haus Bedenken, ob der Präsident sich auf ein solches Treffen einlassen solle. Sicherheitsberater John Bolton und Vize-Präsident Mike Pence schlugen Nordkorea das Libyen-Modell vor: komplette Abrüstung, Bürgerkrieg mit ausländischer Intervention, Ermordung des Führers und zerfallender Staat. Pjöngjang reagierte entrüstet, weniger wegen des Modells, sondern wegen der Gleichsetzung, denn Libyen hatte keine einsatzbereiten Nuklearwaffen. Nordkorea sei aber ein, zwar nicht offiziell anerkannter, Nuklearstaat und wolle als solcher behandelt werden. Es wurde Rückendeckung aus China besorgt und der Präsident Südkoreas hat unermüdlich und geduldig vermittelt, denn das Gipfeltreffen ist auch im vitalen Interesse seines Landes.
Was steht für Machthaber Kim auf dem Spiel?
Wenn die USA auf sofortige Denuklearisierung und Beibehaltung aller Sanktionen bestehen oder wenn Herr Trump die Contenance verliert, kann fast alles schief gehen. Kim hat viele Vorleistungen erbracht. Zum Beispiel die Zerstörung eines Testgeländes. Kommt es in Singapur zum Eklat oder macht Kim aus Sicht der Elite des Landes gefährliche Zugeständnisse ohne Gegenleistungen, dann kann das seine Position gefährden.
Niemand sollte sich Illusionen über den Charakter des nordkoreanischen Regimes machen, aber es könnte jetzt die Chance für friedliche Veränderungen geben. Viel wird über Kim Jong-un und die Kim-Dynastie spekuliert, die 25 Millionen Menschen dort verdienen ebenfalls Beachtung.
Nachdem Trump am Wochenende die G-7-Partner mit einer Absage an die gemeinsame Gipfelerklärung brüskiert hat – kann Kim Trump überhaupt noch trauen?
Wer vertraut denn noch Herrn Trump? Kim und Trump kennen sich nicht und vertrauen sich wohl gegenseitig nicht, deshalb sollten die Erwartungen nicht zu hoch sein. Der Beginn eines langen konstruktiven Dialogs wäre schon ein Erfolg. Vertrauen hat Selbstvertrauen zur Voraussetzung, und beide scheinen es im Übermaß zu haben, wobei der Norden vermutlich vorsichtiger zu Werke geht. Trump bewundert an Kim, wie der mit seinen Gegnern umgeht, und Kim bewundert an Trump dessen großen «Atomknopf» und die scheinbare Unabhängigkeit. Vielleicht kommen sie bei aller Unterschiedlichkeit dennoch gut miteinander aus.
(L'essentiel/kko)