NSA-SkandalDas schwarze Loch der Cyber-Krieger
Für die National Security Agency arbeiten Amerikas beste Cyberkrieger. Aber so genau darf man das nicht wissen. Alles am weltgrößten Geheimdienst ist geheim.

Auf dem Baltimore-Washington Expressway mitten in Maryland sticht auf halber Strecke plötzliche eine merkwürdige Ausfahrt ins Auge. «NSA» steht auf der braunen Hinweistafel neben einem nach rechts weisenden Pfeil, und unten warnt ein weißes Schild: «Restricted Entrance».
«Beschränkter Eingang» - das ist milde ausgedrückt. Wer die Ausfahrt zum Areal der National Security Agency unbefugt benutzt, dessen Fahrt endet rasch an unüberwindlichen Schranken. Das 270 Hektaren große Areal des hoch geheimen elektronischen Abhördiensts der Vereinigten Staaten wird von einer 400 Cops zählenden Polizeitruppe bewacht, ausgerüstet mit Kampfhunden, Maschinengewehren, Granatwerfern und einer Flotte gepanzerter Mannschaftswagen.
Wie im Science-Fiction-Film
Von der Autobahn aus kriegt man die NSA-Zentrale auf dem Areal des Fort Meade nie zu Gesicht. Aber auf Flugaufnahmen präsentiert sie sich wie aus einem Science-Fiction-Film. Mitten im weltgrößten, 18’000 Fahrzeuge fassenden Parkplatz ruht ein riesiger schwarzer Glaskubus, der in seiner Unergründlichkeit an den berühmten Monolithen in Stanley Kubricks «2001: A Space Odyssey» erinnert. Und wie bei diesem geht in das NSA-Gebäude alles hinein, aber nichts hinaus: Die verspiegelte Glasfassade wird von einem Kupfernetz abgeschirmt, damit keinerlei elektronische Signale an die Außenwelt dringen.
Offiziell ist nur wenig über die NSA bekannt. Zwischen ihrer Gründung im Jahr 1952 bis 1975 wurde sogar ihre Existenz unter Verschluss gehalten, weshalb ihr bis heute der scherzhafte Name anhaftet: «No Such Agency» - keine solche Agentur. In Wahrheit ist die NSA jedoch die mit Abstand am besten ausgerüstete und leistungsfähigste Organisation für elektronische Datensammlung und Kriegführung der Welt. Bei einem - geschätzten - Budget von über zehn Milliarden Dollar können sich die 40’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NSA Zugang zu Kommunikationseinrichtungen von Freund und Feind verschaffen. Keine Codes sind vor ihren Supercomputern sicher.
Datencenter in Utah
Wie die jüngsten Enthüllungen des früheren NSA-Technikers Edward Snowden ahnen lassen, könnte die NSA, wenn sie es wollte, wahrscheinlich alle Telefondaten weltweit abspeichern und den ganzen Internet-Verkehr abhorchen. Vielleicht tut sie das auch schon, denn wissen darf man das nicht. Die Infrastruktur dafür steht jedenfalls bereit, wenn im Herbst das zwei Milliarden Dollar teure «Utah Data Center» südlich von Salt Lake City in Betrieb genommen wird. In vier Hallen von je 2500 Quadratmetern Größe werden dicht an dicht Server-Regale stehen, gekühlt von fünf Millionen Liter Wasser im Tag. Den Strom für den Betrieb des Datenparks liefert ein eigenes Kraftwerk von 65 Megawatt Leistung.
So glänzend - und unheimlich - wie heute stand die NSA nicht immer da. Nach ihrer Gründung durch Präsident Harry Truman wuchs sie im Kalten Krieg rapide. Schon 1967 war die NSA mit 14’000 Mitarbeitern von allen US-Geheimdiensten am größten. 1975 beschäftigte sie bereits 25’000 und verschlang 1,2 Milliarden Dollar, beinahe doppelt so viel wie die 750 Millionen der CIA. Doch mit dem Fall der Sowjetunion verlor die NSA einen guten Teil ihrer Existenzberechtigung. Wie der Geheimdienstautor Matthew Aid erzählt, war die Agentur 1999 technologisch abgehängt und in Washington Gegenstand von Witzen.
Snowden bringt Licht hinein
Das änderte sich schlagartig mit den Terrorangriffen vom 11. September 2001. Wurde die NSA vorher kritisiert, weil sie entgegen ihrer Befugnis zuweilen auch Amerikaner beschnüffelte, rügte man jetzt ihr Versagen bei der Terrorwarnung. Die NSA wurde von Präsident George W. Bush beauftragt, künftig nichts unversucht zu lassen, um allfällige Angriffe rechtzeitig zu entdecken und zu unterbinden.
Die gigantische Aufrüstung und Aufblähung der Agentur ist eine Folge des neuen Auftrags. Dank Snowdens Geheimnisverrat weiß man heute, dass die NSA jeden Tag von den US-Telefonkonzernen die Metadaten sämtlicher Gespräche erhält sowie von den großen Internet-Konzernen viele Mails, Text-Messages und Skype-Gespräche mit Auslandbezug. «Wenn man eine Nadel im Heuhaufen finden muss, braucht man den Heuhaufen», lautet die Rechtfertigung des demokratischen Kongressmitglieds Dutch Ruppensberger aus Maryland. Wie «Bloomberg Businessweek» berichtete, saugt die NSA aus dem Internet jede Stunde zwei Petabyte Daten auf, das sind zwei Millionen Gigabytes oder Hunderte von Millionen Textseiten.
«Alexander the Geek»
Eine Analyse dieses Materials wäre früher gar nicht möglich gewesen. Software für den praktikablen Umgang mit derart riesigen Datenmengen gibt es erst etwa seit fünf Jahren. Die Sammelei auf dem Internet ist inzwischen die ertragreichste Datenquelle der US-Geheimdienste; angeblich stammen von ihr 75 Prozent aller Informationen des täglichen Geheimbriefings für Präsident Barack Obama.
General Keith Alexander, der 2005 vom früheren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eingesetzte NSA-Direktor, geht auch beim Cyberkrieg in die Offensive. Seine ultrageheime NSA-Abteilung «Office of Tailored Access Operations» hat in anderen Ländern ungezählte militärische und zivile Computer gehackt, ohne Spuren zu hinterlassen. Unter «Alexander the Geek» - so ein Spitzname des Viersternegenerals - ließ die NSA den zerstörerischen Stuxnet-Virus auf die Uran-Anreicherungsanlagen im Iran los.
Wie auf den Weltmeeren, in der Luft und im Weltall wollen die USA auch im Cyberspace dominieren. Um die Offensivkapazität zu erhöhen, legten Politiker im Mai auf dem NSA-Areal den Grundstein für eine zusätzliche, auf 3,2 Milliarden Dollar veranschlagte «Site M». Geplant sind 14 Verwaltungsgebäude, zehn Garagen, und endlose Geschossflächen, auf denen Supercomputer stehen werden. Bis in 16 Jahren sollen nach weiteren Ausbauschritten über 12’000 Cyberkrieger einziehen.
Trotz der explodierenden Dimensionen ihres Tuns sind die Tätigkeiten der NSA nach wie vor nur in Umrissen bekannt. Buchautor Matthew Aid zitiert einen NSA-Offizier im Ruhestand mit den Worten: «Der Grund, warum dieses Zeug so geheim ist, liegt darin, dass es viele Leute in Angst und Schrecken versetzen würde. Da ist es sicherer und politsch einfacher für alle, in seliger Unwissenheit zu verbleiben.»
(L'essentiel Online/M. Suter, New York)