FlugzeugkatastropheDer Todes-Pilot flog trotz Krankheit
Über den Copiloten von Unglücksflug 4U 9525 werden neue schockierende Erkenntnisse bekannt. Er war am Absturztag krankgeschrieben.

Die Ereignisse vom Freitag können Sie auch im Liveticker von L'essentiel nachlesen. Weiter Informationen finden Sie in unserem Dossier über den Flugzeugabsturz.
Der Copilot des abgestürzten Airbus hat nach Erkenntnissen der Ermittler vor seinem Arbeitgeber Germanwings eine Erkrankung verheimlicht. Die Fahnder entdeckten bei dem 27-Jährigen zu Hause «zerrissene, aktuelle und auch den Tattag umfassende Krankschreibungen», wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Freitag mitteilte. Ein Abschiedsbrief oder ein Bekennerschreiben wurden nicht gefunden.
Ermittler hatten am Donnerstag zwei Wohnungen des Mannes durchsucht, der aus Montabaur bei Koblenz stammte und seit 2013 als Copilot für Germanwings flog. Sichergestellt wurden Dokumente, «die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinweisen», erklärte die Staatsanwaltschaft weiter. Über die Art der Erkrankung wurde nichts mitgeteilt, die Ermittler hatten aber nach Hinweisen auf ein psychisches Leiden gesucht.
Luftfahrtbehörde bittet um Akteneinsicht
Eine Sprecherin der Lufthansa-Tochter Germanwings sagte, wenn der Copilot die Krankschreibung nicht selbst eingereicht habe, habe das Unternehmen davon keine Kenntnis bekommen. Das Luftfahrt-Bundesamt bat das Aeromedical-Center der Lufthansa um Akteneinsicht. Der 27-jährige Andreas Lubitz steht im Verdacht, auf Flug 4U 9525 den Piloten aus dem Cockpit ausgesperrt und die Maschine mit 150 Menschen an Bord mit voller Absicht auf Todeskurs gebracht zu haben.
Die deutschen Fluggesellschaften zogen schnell Konsequenzen und verschärften mit sofortiger Wirkung ihre Regeln für die Besetzung im Cockpit. Kein Pilot darf sich bis auf weiteres mehr allein dort aufhalten. Weltweit reagierten auch viele andere Airlines.
Bundespräsident nimmt an Gedenkgottesdienst teil
Bundespräsident Joachim Gauck nahm am Vormittag an einem Gedenkgottesdienst im westfälischen Haltern teil. 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des dortigen Gymnasiums waren an Bord des Airbus, der am Dienstag auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen an einem Bergmassiv zerschellte.
Die Bergungsarbeiten, die am Freitag in den vierten Tag gingen, können sich in dem unwegsamen Gelände hinziehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Suche nach dem zweiten Flugschreiber, der weitere Erkenntnisse zum Geschehen im Cockpit liefern könnte.
Airline eröffnet Betreuungszentrum für Angehörige
Germanwings eröffnet am Samstag in der Nähe der Absturzstelle ein Betreuungszentrum für Angehörige. Für Freitag war ein vierter Sonderflug mit Hinterbliebenen aus Barcelona geplant. Von den etwa 50 Angehörigen, die am Donnerstag die Unglücksstelle besucht hatten, flogen die meisten wieder zurück nach Deutschland. Der Bundesrat gedachte zu Beginn seiner Sitzung am Freitag der Opfer, unter denen laut Auswärtigem Amt 75 Deutsche sind.
Die Auswertung des Stimmenrekorders hatte ans Licht gebracht, dass der Copilot seinem Kollegen nach einem Toilettengang nicht mehr die automatisch verriegelte Cockpit-Tür öffnete. Danach soll er nach derzeitigem Ermittlungsstand das Flugzeug eigenmächtig auf Sinkflug gebracht haben. Bis zuletzt ist auf der Aufnahme Atmen zu hören.
Lubitz war Patient in Düsseldorfer Uniklinik
Das Universitätsklinikum Düsseldorf bestätigte am Freitag, dass Lubitz dort Patient war. «Meldungen, wonach Andreas L. wegen Depressionen in unserem Haus in Behandlung gewesen sei, sind jedoch unzutreffend», erklärte eine Sprecherin.
Die zwischenzeitlich eingeführte Zwei-Personen-Regel fürs Cockpit gilt für deutsche Airlines erst einmal vorläufig. Dies sei nach Abstimmungen mit dem Verkehrsministerium und dem Luftfahrt-Bundesamt so beschlossen worden, teilte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) am Freitag mit. Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow hatte den Schritt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bereits am Donnerstagabend angekündigt.
Neue Regeln für Passagierflüge
Auch Lufthansa will die neuen Regeln für sämtliche Passagierflüge umsetzen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) begrüßte die Verschärfung. «Das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit ist eine richtige Überlegung», sagte er am Freitag der dpa.
EU-Behörden denken ebenfalls über neue Empfehlungen nach. Kurzfristige Maßnahmen würden geprüft, hieß es. In Großbritannien ändern die meisten Airlines ihre Regeln nach einer Empfehlung der Flugsicherheitsbehörde. In Österreich verpflichtete die zuständige Austro Control alle Fluglinien zu der Änderung.
Viele Airlines führen Vier-Augen-Prinzip ein
Die skandinavische Fluggesellschaft SAS, Air Baltic, Norwegian und Air Canada führen ebenfalls das Vier-Augen-Prinzip ein. «Das bedeutet, dass wenn einer der Piloten das Cockpit verlässt, etwa um auf Toilette zu gehen, eines der Crewmitglieder ins Cockpit gehen muss», sagte eine Sprecherin der norwegischen Fluglinie der dpa. Von Air France hieß es, man verfolge aufmerksam die Entwicklungen und die Untersuchungsergebnisse.
Bundespräsident Gauck versprach den Angehörigen der Absturzopfer Unterstützung. Es entstehe ein «Band des Mitleidens und Mittrauerns», sagte er nach dem Gottesdienst in Haltern. Er wurde von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft begleitet.
(L'essentiel/dpa)