Gaddafis Tod – Ein Kopfschuss, eine Leiche und offene Fragen

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Gaddafis TodEin Kopfschuss, eine Leiche und offene Fragen

Muammar Gaddafis Leiche ist eine «Touristenattraktion» in Misrata. Um den Tod ranken sich viele Gerüchte, doch die Anzeichen für Lynch-Justiz erhärten sich.

In Libyen wurde am Wochenende tüchtig gefeiert. Die vom Nationalen Übergangsrat am Sonntag offiziell verkündete Befreiung des Landes wurde ebenso bejubelt wie der Tod von Muammar Gaddafi am letzten Donnerstag. In Misrata standen die Menschen in langen Schlangen an, um die in einem Kühlhaus gelagerten Leichen des Ex-Machthabers, seines Sohns Mutassim und seines Verteidigungsministers Abu Bakr Junis zu besichtigen.

Eine am Sonntag vorgenommene Obduktion bestätigte, was die Fotos der Leiche angedeutet hatten: Gaddafi starb «an einer Schusswunde im Kopf», wie der zuständige Arzt Othman al Zintani erklärte. Der vollständige Autopsiebericht soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Unklar bleibt, ob der Oberst im Kampf getötet oder nach seiner Festnahme erschossen wurde. Verschiedene Videos, die am Wochenende aufgetaucht sind, erhärten jedoch den Verdacht, dass Muammar Gaddafi ein Opfer von Lynchjustiz wurde.

Wer feuerte den tödlichen Schuss ab?

So zeigen verstörende Aufnahmen, wie der hilflose Gaddafi nach seiner Festnahme von den Aufständischen gedemütigt und angeblich sogar sodomisiert wird. Ein von Reuters verbreitetes Video lässt darauf schließen, dass der Ex-Diktator auf dem Transport nach Misrata getötet wurde. Jubelnde Rebellenkämpfer feiern darin einen kahlköpfigen Mann als Gaddafis angeblichen «Killer». In einem weiteren Clip wird allerdings ein anderer Mann, ein 22-jähriger Kämpfer namens Sanad al Sadek al Ureibi, als Todesschütze präsentiert.

Noch sind die genauen Umstände von Gaddafis Tod nicht geklärt. Westliche Regierungen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren jedoch, dass der einstige Machthaber keine Chance auf ein Gerichtsverfahren erhalten hat. «Es gibt keinen Grund, weshalb er einer solchen Mob-Justiz ausgesetzt werden sollte», sagte Peter Bouckaert von Human Rights Watch zu CNN. Der britische Verteidigungsminister Philip Hammond meinte, das Image der libyschen Revolutionäre sei durch Gaddafis Tod «ein wenig befleckt worden». Angesichts der Kritik kündigte der Übergangsrat am Montag eine Untersuchung der Todesumstände an.

Testament veröffentlicht

Die Libyer allerdings haben wenig Verständnis für derartige Befindlichkeiten. «Einer der Widerstandskämpfer wurde von Wut übermannt. Er hat gehandelt, bevor ihn jemand aufhalten konnte», sagte Mustafa Zoubi, ein Rebellenkommandant, laut dem britischen «Guardian». Und ein Mann namens Mohammed, der Gaddafis Leichnam besichtigte, meinte: «Er hat uns das Leben zur Hölle gemacht. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, dass er tot ist. Wen kümmert es, ob dies würdevoll ist? Ihn hat so etwas nie gekümmert.»

Unklar bleibt auch, was mit dem Leichnam geschehen soll. Gaddafis Familie hat die Herausgabe verlangt. In seinem angeblichen Testament, das auf der Website Seven Day News veröffentlicht wurde, verlangt Gaddafi eine Beisetzung in seiner Geburtsstadt Sirte, neben seiner Familie und seinen Verwandten, «in den Kleidern, die ich bei meinem Tod getragen habe, und mit ungewaschenem Körper». Gleichzeitig fordert er seine Anhänger auf, weiter Widerstand zu leisten, «heute, morgen und jederzeit».


L'essentiel Online
/pbl

Gaddafis letzte Tage

Ebenfalls am Wochenende wurden Details über Gaddafis letzte Tage in der belagerten Stadt Sirte bekannt. Diese müssen ziemlich trist gewesen sein. Mehrfach musste er sein Versteck wechseln. Ernährt habe er sich von Nudeln und Reis, die seine Helfer in verlassenen Häusern beschafft hätten, sagte Mansur Dhao Ibrahim, der Kommandant der einst gefürchteten Revolutionsgarden, der «New York Times». Gaddafi habe mit seinem Schicksal gehadert und geklagt: «Warum gibt es keinen Strom? Warum gibt es kein Wasser?»

Von den Kämpfen habe sich Gaddafi ferngehalten, sagte Ibrahim, der bis zuletzt an seiner Seite war und auf der Flucht verwundet wurde. Er habe es vorgezogen, im Koran zu lesen oder Anrufe mit seinem Satellitentelefon zu tätigen. Bis zuletzt soll der größenwahnsinnige Ex-Diktator nicht verstanden haben, wieso «sein» Volk sich gegen ihn erhoben hat.

Massaker an Gaddafi-Anhängern?

In der libyschen Stadt Sirte sollen Milizionäre des Übergangsrates 53 Anhänger von Ex-Machthabers Muammar al-Gaddafi nach deren Festnahme getötet haben. Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fanden einige Leichen, bei denen die Arme mit Plastikbändern hinter dem Rücken zusammengebunden waren.

Die Organisation forderte deshalb am Montag den regierenden Übergangsrat auf, «eine unverzügliche und transparente Untersuchung der offensichtlichen Massenhinrichtung einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen».

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