Terror-Experte – «Es dürfte noch größere Anschläge geben»

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Terror-Experte«Es dürfte noch größere Anschläge geben»

Laut Terror-Forscher Stephan Humer war der Anschlag von Ansbach wohl erst der Anfang des IS-Terrors in Deutschland.

Herr Humer, ein IS-Kämpfer hat zum ersten Mal einen Selbstmordanschlag in Deutschland verübt. Ist dies nun eine neue Dimension des Terrors in Deutschland?
Es ist das, was wir erwartet haben. Für mich und meine Kollegen war die Frage nie ob, sondern nur wann der IS auch in Deutschland zuschlägt. Was sich jetzt in Ansbach ereignet hat, war nur eine Frage der Zeit.

Wie weit oben steht denn Deutschland auf der Terror-Liste des IS?
Deutschland steht auf einer Stufe mit anderen europäischen Ländern, zwar hat der IS immer Frankreich als besonderes Anschlagsziel erkoren, doch schließlich unterscheiden die Länder nur Nuancen, weil der IS weiß, dass man in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden genauso für Unruhe sorgen kann.

Was erwarten Sie für Maßnahmen von der deutschen Regierung?
Ich gehe davon aus, dass jetzt versucht wird, noch viel mehr Terror-Szenarien durchzuspielen. Das würde ich auch dringend empfehlen. Auch Taktiken, die man bis jetzt nicht so sehr in Betracht gezogen hat wie einen Anschlag mit Lastwagen wie in Nizza oder noch abwegigere Szenarien wie die Axtattacke von Würzburg müssen jetzt in den Vordergrund gestellt werden. Es geht nicht mehr nur um klassische Angriffstaktiken, sondern auch um Dinge, die exotischer aussehen. Gleichzeitig muss ein schneller, pragmatischer Informationsfluss zwischen Polizei und Geheimdienst und mit internationalen Behörden weiter forciert werden. Hier sind die Datenschutz-Bedenken in Deutschland noch sehr dominant. Auch die ideologischen Verbotsdiskussionen um Killerspiele und Schusswaffen bringen uns nicht weiter.

Kann man denn mit diesen Maßnahmen einen Anschlag verhindern?
Man kann die Hürde für einen Anschlag sehr stark erhöhen. Man kann dafür sorgen, dass Menschen, die kurz vor einem Anschlag stehen, sagen: «Das ist jetzt zu groß für mich» oder «Ich warte noch». Eine hundertprozentige Sicherheit kann auch das nicht bieten, doch man kann es den Attentätern so noch deutlich schwerer machen, und das sollte man auch.

Erwarten Sie weitere Anschläge auf deutschem Boden?
Es wäre für mich die maximale Überraschung, wenn das jetzt schon alles gewesen wäre. Ich gehe davon aus, dass es noch weitere und auch noch größere Anschläge geben wird. Glücklicherweise gab es bis jetzt noch keine so großen Anschläge wie in Frankreich, aber das heißt nicht, dass diese nicht noch kommen werden.

In Frankreich forderten die Anschläge zahlreiche Todesopfer, es waren ganze Gruppen beteiligt. Kommt diese Taktik nun auch nach Deutschland?
Wir sollten uns darauf einstellen. Diese größeren Attacken stehen wegen ihrer Wirkung im Fokus von Gruppen, die sagen: «Wenn wir die Chance dazu haben, dann machen wir das auch». Es wird nun ein Kraftakt, die Spannung hochzuhalten und es auch diesen Attentätern so schwer wie möglich zu machen.

Politische Äußerungen gegen die so genannte Willkommenskultur kommen nun auch von der Linken-Chefin Sahra Wagenknecht. Dreht nun die Stimmung auch bei der Linken?
Die Stimmung war schon lange nicht besonders gut, in Bevölkerungsumfragen zeigte sich ja schon eine latente Kritik an der Willkommenskultur. Diese Kritik wird im Lichte der Ereignisse wohl noch offener gezeigt werden. Sahra Wagenknecht nutzt diese Stimmung jetzt für Oppositionspolitik, an einen grundlegenden Wandel bei der Linken glaube ich aber nicht.

Die Bürger sind verunsichert. Was kann man nun tun, um sich zu schützen?
Die erste Reaktion muss im Kopf stattfinden, es geht um Risikomanagement. Wenn man weiß, dass es wahrscheinlicher ist, vom Blitz getroffen zu werden als Opfer eines Anschlags zu werden, beruhigt das schon mal. Es sollte einem klar werden: Ich bin nicht direkt im Fokus. Bevor man sich eine Waffe kauft oder einen Survival-Kurs macht, sollte man sich informieren, was die Behörden unternehmen und wo man sich weitergehend informieren kann.

Wann rechnen Sie mit einer Entspannung der Situation?
Es dauert wohl noch Jahre. In der Forschung sehen wir keine Entspannungssituation, denn selbst wenn der IS territorial besiegt ist, bleiben die Idee und die internationalen Strukturen bestehen. Dieses Problem wird uns also noch lange beschäftigen.

(L'essentiel)

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