Kulturhauptstädte 2012«Hier wurde Portugal geboren»
«Aqui nasceu Portugal» prangt auf der Stadtmauer von Guimarães: Die Wiege von Portugal wird mitten in der Wirtschaftskrise zur Europäischen Kulturhaupstadt ausgerufen.

Guimarães ist ein malerisches mittelalterliches Städtchen, das von einer reichen Geschichte und einer Gegenwart mit großer Armut geprägt ist. Als Kulturhauptstadt setzt man auf die Kreativindustrie als ökonomische Triebfeder und auf engen Kontakt mit der Bevölkerung.
«Wir wollen, dass jeder dabei mitmacht, Ideen für Europa zu entwickeln», sagt Direktor Carlos Martins gegenüber der Nachrichtenagentur APA: «Auch wenn wir von Brüssel weit weg sind.»
Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt
Vom Café des Centro Cultural Vila Flor, dem etwas außerhalb der Stadtmauern gelegenen Herz des Kulturhauptstadtjahres, blickt man über die Talsenke, in die das Städtchen geschmiegt ist. Um 1100 wurde hier Alfonso Henrique geboren, Portugals erster König.
Die historische Bedeutung ist es vor allem, die den rund 50 000 Einwohnern den Tourismus beschert, doch die Textilindustrie war es, die über Jahrzehnte für großen Wohlstand sorgte. Heute sind die meisten Fabriken geschlossen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 bis 20 Prozent - doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.
Künstler in Industriebrachen
Jetzt soll die Stadt ein neues, buntes, kreatives Gesicht bekommen. «In den verlassenen Industriegebäuden wird die Kreativbranche angesiedelt», sagt Martins über die vor allem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Projekte von Guimarães 2012.
Gemeinsam mit der eigenen Universität sowie der nahe gelegenen Uni in Braga werden Felder wie Architektur, Software-Entwicklung oder verschiedene Designsparten in der Stadt angesiedelt. Technology- Lab und Design Center lauten die Projekte, mit denen man Kultur nicht trotz, sondern gerade wegen der Krise fördert.
Hochkarätiges Musikprogramm
Das Gesamtbudget von 118 Millionen Euro ist für das krisengeplagte Portugal stattlich. 70 Millionen fließen in die Infrastruktur. Alte Märkte, die Stadtburg, der Palast Paco Ducal und das Lederviertel wurden restauriert und kleine Kinos digitalisiert.
Zudem entstand ein interaktives «Haus des Gedächtnisses». Die Arbeit hat das Team im März 2010 aufgenommen, der Startschuss für das eigentliche Jahresprogramm, in das 25 Millionen Euro investiert werden, soll am 21. Januar fallen.
Doch eigentlich scheint 2012 hier schon lange begonnen zu haben. Das eigens gegründete Orchester spielte bereits zur Programmpräsentation, das neue Kulturzentrum wird schon seit Monaten mit hochkarätigem Musikprogramm bespielt und der örtliche Chor sowie die Theatergruppe proben eifrig.
«Für immer Kulturhauptstadt»
«Wir vergleichen uns nicht mit großen Städten», sagt Martins als Leiter der bisher kleinsten Kulturhauptstadt: «Wir zeigen, welche Rolle eine kleine Stadt für eine Entwicklung Europas spielen kann.» Und so ist das Festivalprogramm der kleinere Teil des Projekts.
«Der Prozess ist wichtiger als das Ergebnis», betont Martins, während er durch die mittelalterlichen Gassen spaziert. In vielen der Räume mit den typisch nordportugiesischen hohen Fenstern haben sich Projekte für Medienkunst oder Softwaredesign eingenistet.
«End-of-the-world-Party»
Immer wieder öffnet sich das Gassengewirr zu einem der Plätze. Die Bewohner von Guimarães sitzen gerne draußen. Am Praça da Oliveira herrscht den ganzen Tag buntes Treiben, zur Dämmerung ist er rappelvoll. Freudig soll das Hauptstadtjahr auch enden.
«Wir machen eine End-of-the-world-Party», erklärt Martins. Schließlich prophezeiten einige den Weltuntergang für Ende 2012: «Falls es doch weitergeht, bleiben wir für immer Kulturhauptstadt.»
L'essentiel Online/Maria Handler/APA
Guimarães, Stadt der Könige und Messer
Die knapp 40 Kilometer nordöstlich von Porto gelegene Universitätsstadt Guimarães gilt als «Wiege der Nation». Um 1109 kam hier Alfons I. zur Welt, der zum ersten König von Portugal gekrönt wurde. Die Unesco erklärte das historische Zentrum 2001 zum Weltkulturerbe.
Aus der bewegten Stadtgeschichte, die wohl bis in die Zeit der Iberer zurückreicht, sind viele bedeutende Baudenkmäler erhalten: das Castelo, eine mächtige Burg aus dem 10. Jahrhundert oder der ehemalige Palast der Herzöge von Braganza aus dem 15. Jahrhundert. (dpa)
Bekannt ist Guimarães mit seinen rund 50 000 Einwohnern auch für traditionelle Messerherstellung.
Die Kulturhauptstadt Europas - Guimarães fünf Jahre nach Luxemburg
Seit 1985 erhält jährlich mindestens eine europäische Stadt den Titel Kulturhauptstadt Europas. Der Europäische Rat verleiht ihn auf Empfehlung der Europäischen Kommission. Ziel ist es, den «Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger Europas füreinander zu leisten».
Jedes Jahr dürfen andere Länder mehrere ihrer Städte vorschlagen. Um die zehn neuen EU-Mitglieder einzubinden, sollen bis 2019 in der Regel jährlich zwei Titelträger, jeweils aus einem alten und einem neuen EU-Staat, ernannt werden. Inzwischen können auch Nicht-EU- Mitglieder teilnehmen.
Erste Kulturhauptstadt war 1985 Athen. Luxemburg trug den Titel im Jahr 2007.
2010 waren Essen für das Ruhrgebiet sowie Istanbul und das ungarische Pécs Kulturhauptstädte Europas. 2011 sind es Tallinn (Estland) und Turku (Finnland), 2012 Guimarães (Portugal) und Maribor (Slowenien). (dpa)