Hinter den Kulissen – Hier zeigt Sotschi sein wahres Gesicht

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Hinter den KulissenHier zeigt Sotschi sein wahres Gesicht

Sotschi präsentiert sich der Welt ab dem 7. Februar in olympischem Glanz. Ein Blick hinter die Fassaden offenbart die hässliche Seite von Präsident Putins Prestigeobjekt.

Mit den Olympischen Winterspielen versprach Russlands Präsident Putin bessere Lebensbedingungen und neue Investitionen für Sotschi. Doch davon ist in der Stadt wenig angekommen: Die Straßen sind aufgerissen, Bäche verschmutzt und noch immer gibt es ständige Stromausfälle. In der Schwarzmeerstadt können Olympia und Elend nahe beieinander liegen: An der nagelneuen Autobahn am Rande der Stadt steht ein zerfallender Wohnblock.

Am Dach ist ein rotes Banner angebracht mit der Aufschrift: «SOS!». Während um sie herum die Stadt für Olympia ausgebaut wird, leben die Bewohner des Hauses in der Akatsi-Straße seit Jahren ohne fließendes Wasser. Und die Bauarbeiten für die Winterspiele haben ihr Leben nur schwerer gemacht.

Freude wich Ernüchterung

«Alle haben sich auf die Olympischen Spiele gefreut», sagt Alexandra Kriwtschenko, eine Hausbewohnerin. «Wir dachten aber nicht, dass wir direkt neben einer Autobahn landen.» Im russischen Staatsfernsehen ist nicht die Akatsi-Straße zu sehen, sondern Einkaufszentren, moderne Stadien und Hochgeschwindigkeitszüge. Putin hat die Bauprojekte zum Symbol der Transformation Russlands zu einer erfolgreichen modernen Volkswirtschaft erklärt. Graue Kuranstalten haben sich in Malls verwandelt, Nobelboutiquen haben Straßenmärkte voller gefälschter Markenklamotten ersetzt.

Mit den Spielen versprach Putin auch Investitionen, um die Lebensbedingungen der 350'000 Einwohner Sotschis zu verbessern. Doch für viele Menschen hat sich das Leben eher verschlechtert. Im Dorf Achschtyr beschweren sich Bewohner über eine illegale Müllhalde, in die eine Baufirma den Schutt von Olympia-Baustellen kippt. Müll von einer anderen illegalen Halde in der Nähe des Dorfes Loo ist in einem Fluss gelandet, der in das ohnehin verschmutzte Schwarze Meer fließt. Und in Mirni haben vorbeifahrende LKW die Gebäudefundamente so beschädigt, dass diese in den Boden absinken.

Ewige Baustelle

Auch die versprochenen Investitionen haben wenige Wochen vor Beginn der Spiele noch nicht gefruchtet. Zwei große neue Kraftwerke sollen Stadt und Stadien beliefern, doch es gibt noch immer ständige Stromausfälle. Es gibt neue Müll- und Abwassersysteme und Tausende Wohnungen sind an das Gasnetz angeschlossen worden. Doch die Straßen von Sotschi sind noch immer aufgerissen. Tausende Menschen, deren Wohnungen für die Bauarbeiten demoliert wurden, mussten umziehen, viele warten aber nach wie vor auf eine neue Bleibe.

Während Gelder für die olympischen Bauten in die Stadt flossen, gibt es noch immer mehr als 100 Wohngebäude, die eigentlich als «nicht bewohnbar» gelten. Für viele Menschen gibt es deshalb kaum Zusammenhänge zwischen dem Sotschi, das im Fernsehen gezeigt wird, und der Stadt, die sie bewohnen. «Die Bilder zeigen ein Paralleluniversum, zu dem die Einwohner wenig Zugang haben», sagt Olga Bekowa, Chefredaktorin einer örtlichen Nachrichtenwebsite. «Sie haben wenig mit dem Alltag Sotschis zu tun. Die Straßen sind aufgerissen, die Einwohner haben viele Probleme und ein gutes Ende ist nach all diesen Bauarbeiten nicht absehbar.»

Am deutlichsten zu spüren ist das in der Akatsi-Straße. Die barackenähnlichen Wohnhäuser hier stammen aus dem Jahr 1941. Seit Jahrzehnten haben die Bewohner des Hauses 5a die Stadtverwaltung immer wieder darum gebeten, ihr Gebäude als «unbewohnbar» einzustufen und ihnen neue Wohnungen zu stellen. Bisher ohne Erfolg.

Zum Elend kommt die Erniedrigung

Nun kommt mit den Olympischen Spielen zu ihrem Elend auch noch Erniedrigung hinzu. Wie Tausende andere Privathäuser ist das Haus in der Akatsi-Straße nicht an Wasser- oder Abwassersysteme angeschlossen. Die Bewohner kamen bislang mit einem WC-Häuschen aus. Doch die Straßenbehörde hat vor Gericht erwirkt, dass das Häuschen am Rande der neuen Autobahn abgerissen werden muss. «Besorgen Sie sich eine Biotoilette», soll der Richter bloss geraten haben.

(L'essentiel/Nataliya Vasiliyeva, AP)

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