Politologen warnenIst Trump eine Gefahr für die Demokratie?
Demokratien können von demokratisch gewählten Politikern zerstört werden. Könnte das auch bei Donald Trump der Fall sein?

Am 11. September 1973 bombardierten Armeeflugzeuge La Moneda, den Präsidentenpalast in Santiago de Chile. Darin hatte sich Salvador Allende, der demokratisch gewählte Präsident des Landes, verschanzt. Stunden später war er tot, die chilenische Demokratie ebenfalls. Bis 1990 mussten die Chilenen die tyrannische Herrschaft von General Augusto Pinochet ertragen.
Genau so stellt man sich normalerweise das Ende von Demokratien vor: Armeeoffiziere putschen, setzen die Verfassung außer Kraft und errichten eine Diktatur. In der jüngeren Vergangenheit liefen solche Umstürze aber häufig sehr viel weniger spektakulär ab.
Langsame Aushöhlung
In ihrem Buch «How Democracies Die» betrachten die Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt zunächst Politiker wie den türkischen Präsidenten Erdogan, den ungarischen Premier Orbán und den früheren venezolanischen Staatschef Chávez. Sie alle wurden demokratisch gewählt, nutzten aber dann ihre parlamentarische Mehrheit, um die Demokratie langsam von innen auszuhöhlen.
So besetzten sie etwa die Gerichte mit ihren Anhängern, drückten Verfassungsänderungen zu ihren Gunsten durch und beschnitten die Freiheit der Medien. In ihren Ländern herrschen sie (in Venezuela ist es Chávez' Nachfolger Nicolás Maduro) inzwischen ziemlich autoritär, obwohl nach wie vor einigermassen freie Wahlen stattfinden.
Als besorgte US-Bürger fragen sich Levitsky und Ziblatt, ob dergleichen auch in den USA unter Donald Trump drohen könnte. Ihre Antwort fällt zumindest teilweise besorgniserregend aus.
Ein Lackmustest
Um zu beurteilen, ob ein Politiker autoritäre Neigungen zeigt, haben die Politologen einen «Lackmustest» (Prüfstein) entwickelt. Demnach droht Gefahr, wenn ein Politiker ...
• die demokratischen Spielregeln nicht einhält,
• die Legitimität seiner Konkurrenten nicht akzeptiert,
• Gewalt hinnimmt oder gar dazu ermuntert,
• den Medien und politischen Gegnern mit Verfolgung droht.
Schon während des Wahlkampfs «bestand» Trump den Test in allen vier Kriterien. So kündigte er an, dass er einen Sieg von Hillary Clinton nicht akzeptieren würde. Außerdem beschimpfte er sie ständig als «Gaunerin Hillary» (crooked Hillary). Bei einer Wahlkampfveranstaltung rief er, dass er einem Protestierenden am liebsten ins Gesicht schlagen würde («I'd like to punch him in the face!»). Schließlich erwog er in einem Tweet, das Verleumdungsgesetz (libel laws) zu ändern, um gegen unliebsame Medien («Feinde des amerikanischen Volkes») vorgehen zu können.
Versuche als Präsident
Auch als Präsident versuchte Trump, Maßnahmen zu ergreifen, die mit dem demokratischen Prozess nur schwer zu vereinbaren sind: Er verlangte beispielsweise Loyalitätserklärungen von den Leitern verschiedener Behörden, etwa des FBI und des CIA. Als der FBI-Chef James Comey eine solche verweigerte, wurde er umgehend entlassen. Zudem drohte er Städten, die sich weigerten, illegale Immigranten auszuschaffen («sanctuary cities»), mit dem Entzug von Bundesmitteln.
Er unterstützt auch aktiv diskriminierende Gesetze, die in einigen US-Staaten schon in Kraft sind. Sie verlangen, dass Wähler «Stimmbürger-Identitätskarten» (voter IDs) vorweisen müssen. Als solche gelten zum Beispiel Fahrausweise. 37 Prozent der Schwarzen, aber nur 16 Prozent der Weißen verfügen über keinen Fahrausweis. Weil die überwältigende Mehrheit der Schwarzen für die Demokraten stimmt, würde so vor allem in den Südstaaten die Herrschaft der Republikaner für lange Zeit zementiert.
Polarisierung nicht erst seit Trump
Levitsky und Ziblatt sind der Meinung, dass sich die amerikanische Demokratie nach wie vor in einem guten Zustand befinde. Bisher habe Trump mehr geredet als gehandelt, und seine schlimmsten Drohungen seien nicht Wirklichkeit geworden.
Sie weisen aber auch darauf hin, dass Autokraten wie Erdogan ihr wahres Gesicht erst nach einiger Zeit gezeigt haben. Häufig nutzten sie Krisensituationen, um autoritäre Maßnahmen zu ergreifen. Sollten die USA in näherer Zukunft in einen Krieg verwickelt werden, könnte Trump ähnlich handeln.
Schließlich betonen sie, dass Trump die bedenkliche Polarisierung der amerikanischen Politik nicht erfunden, sondern nur beschleunigt habe. Besonders die Republikaner sähen die Demokraten mittlerweile nicht mehr als legitime Gegner, sondern als Feinde, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. So verweigerten sie 2017 Präsident Obama die Besetzung einer Vakanz am Obersten Gerichtshof, die durch den Tod von Richter Antonin Scalia entstanden war – so etwas hatte es in den letzten 150 Jahren nie gegeben. Sollten die amerikanischen Politiker ihre Konflikte weiterhin so unversöhnlich austragen, könnten düstere Zeiten bevorstehen.
(L'essentiel/Rolf Maag)
Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: «How Democracies Die», Random House, 2018.