Luxemburger Experte: «Jodtabletten sind kein Gegengift»

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Luxemburg«Jodtabletten sind kein Gegengift»

LUXEMBURG – Patrick Majerus, Strahlenschutzexperte des Gesundheitsministeriums, räumt mit Missverständnissen über das nukleare Risiko auf.

Nicolas Martin
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Nicolas Martin

In den Apotheken des Großherzogtums wird derzeit oft nach Jodtabletten gefragt. Der Krieg in der Ukraine löste große Besorgnis in der Bevölkerung aus, manche fürchten das Schreckensszenario von bombardierten Kernkraftwerken oder einem Atomkrieg.

«Einige sehen in den Jodtabletten ein Gegenmittel für Strahlung und wollen sie einnehmen, wenn in den nächsten Monaten in der Ukraine etwas passiert», sagt Patrick Majerus, Experte für Strahlenschutz im Gesundheitsministerium und klärt auf: «So funktioniert das nicht.» Die Tabletten seien nur wirksam, wenn man sie in den zwölf Stunden einnimmt, bevor man radioaktiver Strahlung ausgesetzt ist. Außerdem sollte der betroffene Reaktor einige Dutzend oder bei extremen Unfällen sogar hundert Kilometer entfernt sein. Dann verhindern sie, dass sich das radioaktive Jod in der Schilddrüse festsetzt, wo es vor allem bei jüngeren Menschen zu Krebs führen kann.

Besonders vor dem 18. Lebensjahr sei die Wirksamkeit hoch, zwischen 18 und 45 Jahren etwas geringer. Danach werden sie laut Majerus nicht mehr empfohlen. Die Einnahme könne mit Nebenwirkungen wie Herzrasen oder Erbrechen einhergehen. Mit zunehmender Entfernung vom Ereignisort werde die Strahlung schwächer. «Die Wolke von Tschernobyl ist bis hierher gekommen, aber es muss eine gewisse Konzentration an Radioaktivität in der Luft vorhanden sein, damit es sinnvoll ist, eine Tablette einzunehmen», betont Patrick Majerus.

Vorräte in Luxemburg

Zwischen dem Vorfall am Reaktor und der Freisetzung von Radioaktivität liege eine gewisse Zeit. «In Fukushima war das Erdbeben am Freitagnachmittag, der Tsunami am Freitagabend und die ersten Freisetzungen kamen am Samstagnachmittag. In einem Reaktor gibt es eine gewisse Trägheit. Es ist ein Prozess, der mehrere Stunden dauert, 20 oder 24 Stunden sind nicht untypisch», so der Experte weiter.

Wenn man in den ersten 24 Stunden nach dem Vorfall zu Hause bleibe, nehme der Körper schätzungsweise fünfmal weniger Strahlung auf, als wenn man sich im Freien aufhält. Das sei vergleichbar mit ein oder zwei kompletten CT-Scans im Krankenhaus.

Nach Fukushima im Jahr 2011 habe Luxemburg seine Vertriebsstrategie überarbeitet. Früher seien die Vorräte in der Nähe der Bevölkerung gelagert worden und die Gemeinden hätten Verteilungspläne gehabt. «Man dachte sich, dass die Gemeinden im Notfall anderes zu tun haben würden, als massiv Jodtabletten zu verteilen. Man hielt es für vorteilhaft, sie im Vorfeld zu verteilen, damit die Menschen sie im Falle eines Zwischenfalls zu Hause haben», sagt Patrick Majerus.

Bestellung per Mail

Eine solche Verteilung fand 2014 statt. «Grob die Hälfte der Bevölkerung die Tabletten abgeholt. Aber wir wissen nicht, in welchem Umfang die Bevölkerung unter 45 Jahren versorgt ist. Man kann nie garantieren, dass 100 Prozent der Bevölkerung sie haben. Einige holen sie nicht ab, andere haben sie verloren und können sie nicht mehr finden. Also haben wir Vorräte in den Gemeinden gehalten, die sie im Notfall verteilen können. Seit 2002 werden Tabletten in Geburtskliniken verteilt, um auch die Jüngsten zu erreichen. Es gibt auch Vorräte in Schulen, Gymnasien oder Unternehmen, um auch die Grenzgänger zu versorgen», erklärt Majerus.

Einen echten nationalen Vorrat gebe es nicht, da die Vorräte dezentral angelegt wurden. In einer Packung sind zehn Tabletten, man nimmt zwei davon. Sie sind gut verpackt und halten lange. «Wir führen regelmäßige Tests durch und sehen, dass die ältesten Tabletten, die 20 bis 25 Jahre alt sind, immer noch wie neu sind. Sie behalten ihre Wirksamkeit und verfallen nicht», so Majerus. Wer keine Tabletten im Haus hat, kann eine E-Mail (secretariat.radioprotection@ms.etat.lu) schicken und wird versorgt. Man brauche aber etwas Geduld, wie Majerus anmerkt. «Wir haben viele Anfragen, es wird also eine Weile dauern», sagt er

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