Neue Game-GenerationMehr Hollywood im Videospiel
Die Spiele-Industrie setzt immer stärker auf «Storytelling». Mit ausgefeilten Drehbüchern und prominenten Namen will man neue Märkte erobern.

Screenshot von «Star Wars: the Old Republic»: Die Spiele-Entwickler setzen auf ausgeklügelte Geschichten, um die Kundschaft bei der Stange zu halten. (Bild: Electronic Arts)
Videospiele müssen fesseln. Ansonsten verschwinden sie meist schnell wieder aus den Verkaufsregalen. Und die führenden Entwickler wissen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen das Stapeln geometrischer Figuren oder linear aufgebaute Kriegsmissionen große Kundenkreise begeistern konnten. Ihr Blick geht zunehmend nach Hollywood. Das Rezept, mit dem die Spiele-Industrie zu punkten hofft: Storytelling - das in den Spielverlauf eingebaute Erzählen von Geschichten.
Die neueste Generation von Videospielen basiert auf ausgefeilten Drehbüchern, die es mit jedem Kino-Hit aufnehmen können. Die Charaktere entwickeln sich dynamisch - je nachdem, welche Erfahrungen sie im Verlauf ihrer Missionen machen. Die Spieler treffen Entscheidungen, die weit über die Wahl einer Waffe hinausgehen.
Star Wars und Bioshock
Wie sich die das Spiel bestimmende Geschichte entwickelt, hängt nicht nur von Schnelligkeit oder Beharrlichkeit ab, sondern auch von der moralischen Urteilskraft oder emotionalen Fähigkeiten - so zumindest die Massgabe der Hersteller.
Bevorstehende Spiele-Veröffentlichungen, die in diese Richtung gehen, sind etwa «Star Wars: The Old Republic» oder «Bioshock Infinite». Für die Branche kommen die neuen Entwicklungen wie gerufen. Nach Rekordumsätzen im Jahr 2008 sind die Verkäufe in den USA nach Angaben der Marktforschungsgruppe NPD bis 2010 um 13 Prozent zurückgegangen. Auch 2011 ist bisher kein Aufwind zu spüren. Mit dem Storytelling sollen neue Spiele ihre Nutzer möglichst lange in ihren Bann schlagen - nicht zuletzt, um eine allzu rasche Deinstallation und anschließende Weitergabe an den umsatzschädigenden Second-Hand-Markt zu verhindern.
Erste Ansätze
Erste Ansätze des integrierten Geschichtenerzählens gibt es bei Videospielen schon länger. In der Vergangenheit beschränkten sich diese allerdings meist auf kurze Sequenzen, die lediglich zwischen den einzelnen Levels einblendet wurden, um den ansonsten linearen Spielverlauf in einen Kontext einzubetten. Ganz anders soll es etwa beim neuen «Star Wars»-Spiel zugehen: Nach Angaben der Hersteller wird es rund 20 Variationen für den Ausgang der «Geschichte» geben - und Millionen Wege dorthin.
«Fotos erzählen Geschichten. Filme erzählen Geschichten. Songs erzählen Geschichten. Videospiele erzählen Geschichten», sagt Ken Levine, Kreativdirektor des Unternehmens Irrational Games, das auf die Veröffentlichung von «Bioshock Infinite» im kommenden Jahr hinarbeitet. Hierbei handelt es sich um ein Schießspiel, das im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts spielt, dem Helden der Geschichte dabei aber auch moralische Entscheidungen abverlangt. Damit wollen die Hersteller vor allem neue Kundenkreise erschließen und auch diejenigen ansprechen, die sich selbst bisher nicht als «Spieler» betrachten.
Für alle etwas dabei
Die Spiele-Branche versuche, das zu erreichen, was Hollywood längst zu einer Wissenschaft perfektioniert habe, sagt der Medienforscher Lindsay Grace von der Universität in Miami. Ihr Ziel sei es, neue Märkte zu erobern, indem ein bisschen von allem geboten werde: etwas Romantik, etwas Action und etwas von diesem und jenem. Der Markt werde sich immer mehr von Independent-Angeboten hin zu Mainstream-Produkten entwickeln, sagt auch Scott Steinberg von der Beratungsfirma TechSavvy Global.
In den Prozess der Spiele-Entwicklung sind in einigen Fällen bereits bekannte Schauspieler und Filmregisseure eingebunden. So hat sich der Mexikaner Guillermo Del Toro nach mehreren erfolgreichen Hollywoodprojekten inzwischen der Arbeit an einem Spiel namens «Insane» verschrieben. Zukünftig werde die Premiere eines neuen Videospiels den selben kulturellen Stellenwert haben wie die eines neuen Kinofilms, sagt der Regisseur.
L.A. Noire
Der Schauspieler Aaron Staton, der zuletzt in der preisgekrönten US-Serie «Mad Men» mitwirkte, wird künftig als Detektiv in dem Spiel «L.A. Noire» zu sehen sein. Für seine neue Rolle musste Staton zunächst 2200 Manuskriptseiten durcharbeiten - je nachdem, wie sich ein Spieler bei bestimmten Gelegenheiten entscheidet, kann sich die Geschichte nämlich in höchst unterschiedliche Richtungen entwickeln. Die Stimmen bekannter Schauspieler seien bereits bei früheren Projekten verwendet worden, sagt Staton. Bei «L.A. Noire» jedoch seien auch Bewegungen und Mimik ein zentraler Aspekt des Spiels. «Ich fand, dass dies sehr spannend sein könnte.»
Charaktere reagieren auf Verhaltensweisen
In «Star Wars: The Old Republic» werden Spieler nicht nur auswählen können, ob sie in die Rolle eines Jedi-Ritters oder in die eines Bösewichts schlüpfen wollen. Wie sie sich verhalten, wird sich auch darauf auswirken, wie andere reagieren: Ob andere Wesen einem helfen oder in den Rücken fallen, hängt etwa davon ab, wie solidarisch oder egoistisch der Spieler im bisherigen Spielverlauf gehandelt hat.
Die Produktionsstudios hätten mehr als 10 000 Charaktere entworfen und die Stimmen von mehr als 1000 Schauspielern verwendet, sagt Daniel Erickson, einer der leitenden Autoren des Spiels. Die möglichen Variationen der Handlung entsprächen zusammengerechnet mehr als 60 Büchern der Star-Wars-Reihe oder einer Sendezeit von mehr als drei Tagen und Nächten ohne Schlaf. Entsprechend sei die Produktion des Spiels auch viel eher mit der einer Fernsehserie zu vergleichen als mit klassischer Spiele-Entwicklung, sagt Erickson. «Es ist die Geschichte, die alles vorantreibt.»
L'essentiel Online/Ryan Nakashima/ap