UntersuchungsberichtMubarak verfolgte das Morden live
Der ägyptische Ex-Diktator will von Toten auf dem Tahrir-Platz bei der Revolution nichts gewusst haben. Doch er war über die Vorgänge buchstäblich im Bild.

Welche Rolle Hosni Mubarak in den letzten Tagen seiner Herrschaft spielte, ist eines der großen Rätsel der ägyptischen Revolution. Von einer direkten Verantwortung für die über 800 getöteten Personen wurde er im Juni 2012 freigesprochen. Doch nun könnte sein Fall neu aufgerollt werden: Eine von Präsident Mohammed Mursi eingesetzte Untersuchungskommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass der 84-Jährige über die Ereignisse auf dem Tahrirplatz genauestens im Bild war.
Das 700-seitige Dokument wurde Mursi am Mittwoch übergeben. Es ist vertraulich, doch Mitglieder der 16-köpfigen Kommission haben in den vergangenen Tagen aus dem Nähkästchen geplaudert. Demnach verfolgte Mubarak die Proteste live auf einem verschlüsselten Videokanal aus dem Präsidentenpalast. Sein damaliger Informationsminister Anas al-Fiqqi hatte zu diesem Zweck auf dem Dach eines Hotels am Tahrirplatz Kameras installieren lassen. «Die Regierung nahm alles auf, bis zu dem Tag, als Mubarak abdankte», sagte Kommissionsmitglied Ali al-Gineidy gegenüber Al Jazeera.
«Er wusste alles, im Kleinen und im Großen»
Folglich musste Mubarak auch über die brutale Reaktion der Polizei Bescheid gewusst haben, die mit Schlagstöcken, Tränengas und sogar Maschinengewehren gegen Demonstranten vorging. Sein langjähriger Innenminister, der in der ägyptischen Bevölkerung besonders verhasste Habib al-Adly, geht noch einen Schritt weiter: Mubarak habe die Sicherheitskräfte angewiesen, die Demonstrationen mit allen Mitteln zu stoppen. «Er wusste alles, im Kleinen und im Großen», sagte al-Adly gegenüber der Untersuchungskommission.
Diese neuen Erkenntnisse entsprechen so gar nicht dem Bild, das der Ex-Diktator seit seinem Sturz kultiviert: Seine Anwälte hatten stets beteuert, dass ihr Mandant keine Gewalt gegen Demonstranten angeordnet hatte und nichts von den Todesopfern wusste. Seine Gerichtstermine nahm er stets in Pyjamas und auf einer Krankenbahre wahr, was den Eindruck eines kränkelnden Alt-Präsidenten erweckte. Doch laut besagtem Bericht wusste Mubarak nicht nur von den Toten, sondern erörterte mit seinen Ministern Möglichkeiten, diese durch rasche Beerdigungen verschwinden zu lassen.
Justiz noch immer von Mubarak-Anhängern geprägt
Ob der Bericht für die Angeschuldigten Konsequenzen haben wird, ist unklar. Sowohl Hosni Mubarak als auch Habib al-Adly verbüßen bereits lebenslange Haftstrafen. Für die Angehörigen der Opfer könnte ein neuer Prozess hingegen Genugtuung bringen, denn bis heute sind nur einige wenige Offiziere für die Morde an Demonstranten verurteilt worden.
Präsident Mursi hatte in jüngster Zeit wiederholt gefordert, die Prozesse gegen Vertreter des alten Regimes einschließlich Mubarak neu aufzurollen. Ob die Justiz hierzu Hand bietet, ist allerdings fraglich. «Mursi müsste Sondergerichte einberufen», sagte Kommissionsmitglied al-Gineidy, denn viele der Richter seien noch von Mubarak eingesetzt worden und fühlten sich dem alten Regime verpflichtet.
(L'essentiel Online/kri)