Castingshows – Sexismus, Schlampen und Personality

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CastingshowsSexismus, Schlampen und Personality

Stefan Raab sucht «TV total's Next Supermodel»: Auch wenn der Moderator gerne mal derbe Sprüche klopft, dürften die Möchtegern-Models bei ihm besser behandelt werden als bei Heidi Klum.

«Du bist sexy, du bist hübsch und hast das gewisse Etwas? Du bist besser als andere Mädels und möchtest zeigen, was du drauf hast? Du möchtest `TV total's Next Supermodel´ werden? Dann bewirb dich jetzt», heisst es auf der ProSieben-Homepage. Ab dem Frühjahr 2011 werden die attraktiven Ergebnisse des Castings bei «Tv total» präsentiert: Model-Mutti Heidi Klum bekommt im eigenen Haus Konkurrenz.

Als die für die vergangene Staffel von «Germany’s Next Topmodel» (GNTM) eine Massensichtung angesetzt hatte, moserte Raab in seiner Sendung ob der Bilder Schlange stehender Mädchen noch, die Strasse sei «voller aufgetakelter Schlampen». Nun ist er selbst auf der Suche nach Möchtegern-Models – und trotz seines frauenfeindlichen Spruches kann der Moderator dem Genre und sogar dem Feminismus nur gut tun.

Teenies möchten gerne Schlampen sein

Das liegt zum einen daran, dass Raab ein fairer Geschäftsmann ist: Wenn er einen Künstler unter seine Fittiche nimmt wie etwa Max Mutzke, Lena Meyer-Landrut oder einen x-beliebigen Comedian, werden die Kreativen an ihrem eigenen Erfolg beteiligt. Sollte dieses Konzept auch bei den Laufsteg-Schönheiten greifen, werden die deutlich mehr Einfluss auf die eigene Karriere haben, als wenn sie die Knebelverträge des Klum’schen Familienkonzerns unterschreiben.

Zum anderen ist ein Casting à la «Germany’s Next Topmodel» an Sexismus ohnehin kaum noch zu überbieten. Deutlich macht das beispielsweise die englische Buchautorin Natasha Walter («Living Dolls – The Return of Sexism»): Sie berichtet von einer Umfrage unter weiblichen Teenagern von 2006, bei der mehr als die Hälfte der Befragten angab, ein Leben als «glamour model» erstrebenswert zu finden. Das erste Wort darf dabei nicht wörtlich genommen werden: Als «glamour model» gelten auch «Playboy»-Nackedeis oder notorische Rampensäue wie Tila Tequila oder Katie Price.

Nur eine attraktive Frau ist eine gute Frau

Walters Begründung für dieses Umfrageergebnis: Das Fernsehen vermittelt diesen Mädchen, «dass der Weg zur Selbstverwirklichung der Frau unvermeidlicherweise über die Perfektion ihres Körpers führt», so die 43-Jährige in der «Frankfurter Allgemeinen SonntagsZeitung» im Februar diesen Jahres. Weiter würden die Mädchen lernen, andere Frauen permanent zu bewerten und sich alleine durch ihr Äußeres zu definieren: «Sie wachsen auf mit einer sehr verengten Sicht darauf, was es heißt, eine Frau zu sein.»

Ablesen lässt sich diese Attitüde – pardon, diese Attitude – auch an der Sprache der Klum-Show. Wenn ein Mädchen hört, er habe keine Personality, ist das für die Betroffenen ein Schlag ins Kontor. «Das ist furchtbar», sagte die dänische Therapeutin Ann-Marlene Henning der «Zeit». «Bei einem so jungen Menschen mindert es sofort das Selbstwertgefühl. Das so genannte Coaching bei `Germany’s Next Topmodel´ finde ich menschenfeindlich. Es gibt niemanden, der diese jungen Frauen unterstützt und aufbaut, statt ihnen immer nur auf den Kopf zu hauen.»

Das Ausweiden persönlicher Gefühle

Im amerikanischen Original mit Tyra Banks und auch in ihrer Heimat Dänemark würde dagegen viel freundlicher mit den Kandidatinnen umgegangen, führt die Wahl-Hamburgerin aus, die sich auch an Begriffen wie «Live-Walk», «Challenge» oder «Performance» stört. «So etwas sagt kein Mensch, es sei denn, er hört es ständig oder ihm wird gesagt, dass er so sprechen soll.»

Hinzu kommt außerdem, dass «Personality» im – um im Jargon zu bleiben – Castingshow-Business ohnehin nicht relevant ist. Es gehe nicht um die Suche nach einem Talent, sondern um die mediale Ausschlachtung der Kandidaten durch ein «Melodram aus Hoffen und Bangen, Aufstieg, Absturz und Verzweiflung», analysierten die Autoren des Buches «Die Casting-Gesellschaft. Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien».

Auch Heidi Klum ist ein «Berufsekel»

Bei GNTM zeige sich dieses Schema in den «Bootcamp-Methoden», zu denen Klum greift, wenn sie ihre Mädchen formt – «mit allerlei Effekten, die wie aus dem DSDS-Zauberkasten geklaut sind», wie die Berliner Zeitung «Die Welt» beobachtete. Wie das «Berufsekel» Dieter Bohlen setze auch die umtriebige GNTM-Moderatorin auf den Demütigungseffekt: «Es ist immer wieder beachtlich, wie schnell Heidi Klum die Mädchen zum Weinen bringt, wie sie aus hübschen Püppchen rotverheult-tragische Gestalten macht.»

Denn wenn die Seal-Gattin einen «Live-Walk» in einem Zug zu einer «Challenge» macht, die die Kandidatinnen auf spontane Model-Jobs vorbereite, muss man kein Agent sein, um zu wissen: Das ist Mumpitz! Hier geht es bloß um einen Vorwand, um die Mädchen dauerhaft zu demütigen, findet Autorin Natasha Walter. Zumal die bisherigen Ersten bei GNTM (oder «Sommermädchen» oder ähnlichen Castingshows) ja ohnehin nicht die ganz grosse Karriere starten.

Endlich zu Hause onanieren

Als TV-Mann Harald Schmidt anno 2008 bei der Verleihung des Börne-Preises an die Feministin Alice Schwarzer die Laudatio hielt, sagte er mit Blick auf GNTM und Co: So «spart sich Vati den Weg in die Münzkabine am Hauptbahnhof, denn er kann jetzt in aller Ruhe vor dem Fernseher minderjährige Mädchen in Unterwäsche über Zechenhöfe stöckeln sehen. Er sieht, wie sie sich lasziv im Kühlhaus räkeln, ohne dass er sich dabei vom heimischen Sofa entfernen muss.»

Und obwohl Raab jetzt selbst nach «aufgetakelten Schlampen» sucht, kann man sicher sein, dass der «Tv total»-Mann besser mit diesen Mädchen umgehen wird, als eine Heidi Klum das je getan hat.

(20min.ch/Philipp Dahm)

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