EM 2012: Videodrohnen gegen Fußballfans

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EM 2012Videodrohnen gegen Fußballfans

Big Brother in Polen: Während der Fußball-EM sollen mögliche Straftäter mit einem speziellen System überwacht und identifiziert werden. Datenschützer sind empört.

Hooligans von Legia Warschau stürmen das Spielfeld, solche Schreckensbilder wollen die Organisatoren der EM 2012 um jeden Preis vermeiden.

Hooligans von Legia Warschau stürmen das Spielfeld, solche Schreckensbilder wollen die Organisatoren der EM 2012 um jeden Preis vermeiden.

AFP

Polen plant bei der Euro 2012 die Total-Überwachung in- und ausländischer Fans. Dazu wollen die Organisatoren das höchst umstrittene Überwachungssystem «Indect» einsetzen, wie «Der Westen» berichtet. Das System ermittelt innert Sekunden «Verdächtige» mittels optischer und elektronischer Informationen, die es aus Videoaufzeichnungen, Kommunikationsdaten, Handyortungen und sozialen Netzwerken zieht. Auch ist es in der Lage, Daten von Internetseiten sowie Bevölkerungs- und Polizeidateien abzufragen. «Indect» kann ausserdem Fangesänge mit Audiosensoren abhören und analysieren. Das System koppelt schliesslich alle Daten zusammen und entscheidet selbständig, ob eine weitere Überwachung des Verdächtigen notwendig ist, z. B. per Videodrohne.

Die Entscheidung, ob sich jemand auffällig verhält, trifft «Indect» ebenfalls selbständig. Und dies kann schnell einmal der Fall sein. Offenbar reicht es, wenn jemand im Aufnahmefeld einer Überwachungskamera sehr schnell läuft oder sich gegen die Laufrichtung der Menge bewegt. Gepäck stehen lassen oder im Stadtbereich ein Auto näher betrachten gilt ebenfalls als Verdächtigungsgrund.

Das Überwachungssystem wird seit 2009 im Rahmen eines Forschungsförderungsprogramms im Auftrag der EU entwickelt. Das Ziel ist ein Informationssystem zur Erhöhung der Sicherheit im städtischen Raum. Es geht also nicht spezifisch um Fussball-Chaoten - auch ein Auto-Dieb könnte damit überführt werden. Die Federführung des Projekts, das elf Millionen Euro kostet, liegt bei der Universität im polnischen Krakau. Beteiligt sind insgesamt 17 Institutionen und Firmen. Auskunft über das Vorhaben gibt es kaum. «Unser letzter Stand ist, dass Indect bei der EM getestet wird», bestätigte allerdings der deutsche Europa-Abgeordnete Alexander Alvaro am Sonntag gegenüber «Der Westen».

Widerstand ist groß

Datenschützer wie auch zahlreiche EU-Politiker sind mit dem Einsatz des Systems an der Euro 2012 nicht einverstanden. «Das Vorgehen widerspricht allen Datenschutzbestimmungen und ist in Deutschland eindeutig verfassungswidrig», sagt Alvaro weiter. Die Privatsphäre der Bürger sei gefährdet. Das EU-Parlament will sich daher noch einmal mit der Sache befassen. Der zuständige EU-Kommissar Antonio Tajani muss sich demnächst vor seinen Kollegen rechtfertigen, warum Brüssel überhaupt so ein System entwickelt. Denn: Zwar haben die Parlamentarier 2009 das Geld für das Forschungsförderungsprogramm bewilligt, doch war die konkrete Auswahl der damit geförderten Projekte nicht klar. Um diese kümmert sich eine EU-Kommission.

Eine offizielle Bestätigung für den ersten Testlauf von «Indect» gibt es indes noch nicht. Laut Medienberichten hat in Polen allerdings bereits das grosse Aufrüsten begonnen: So werden in Lodz im Strassenraum 70 Kameras mit einem 360-Grad-Blickwinkel und 35-facher Vergrösserung aufgestellt. Und in Warschau will man die Videokameras der U-Bahn und am Flughafen für das Projekt freigeben.

Krawalle beim polnischen Cupfinal 2011 zwischen Legia Warschau und Lech Posen. (Quelle: YouTube)

L'essentiel Online /

(mon)

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