Das Homer-PhänomenWir faulenzen stundenlang am Arbeitsplatz
Homer Simpson hat das Nichtstun perfektioniert. Doch ein bisschen Homer sind wir alle, fand ein Wissenschaftler heraus. Mehr sogar, als wir denken.

Die Anekdote ist gleich in doppelter Hinsicht verstörend: Ein Finanzbeamter in Finnland verstirbt 2004 an seinem Arbeitsplatz, während er Steuereingänge kontrolliert. 100 Menschen arbeiteten mit ihm auf einer Etage, 30 in derselben Abteilung. Erst zwei Tage später bemerkt ein Kollege sein Ableben – als er ihn zum Mittagessen abholen will. Mal abgesehen davon, dass niemand den armen Mann vermisste, bemerkte auch niemand, dass er zwei Tage lang seine Arbeit nicht erledigte.
Wie kann das passieren? Mit der Suche nach Antworten auf den ökonomischen Aspekt dieser Frage beschäftigt sich Roland Paulsen, von dem auch die Anekdote stammt. Er hat mit Dutzenden Menschen Gespräche geführt und daraus sein Buch «Empty Labour» (Leere Arbeit) geschrieben. Seine Erkenntnisse sind ernüchternd: In einer Welt, in der alle von Burn-out und Überlastung reden, vertrödelt der durchschnittliche Arbeitnehmer täglich bis zu drei Stunden seiner Arbeitszeit.
Facebook, Handyspiele, Pornos
Facebook checken, Angry Birds, Online-Shopping und sogar der Konsum von Pornos – all das sind Aktivitäten, die laut Studien vornehmlich zwischen 9 und 17 Uhr stattfinden. So machen Online-Shops in den USA etwa zwei Drittel ihrer Umsätze mit Einkäufen in diesem Zeitrahmen. Bei Porno-Sites finden sogar 70 Prozent des Traffics während der Arbeitszeiten statt, schreibt das Wall Street Journal.
Das «Homer-Phänomen» nennt Paulsen dieses «organisatorische Fehlverhalten» laut dem «Manager-Magazin» – denn wohl kaum einer hat das Nichtstun so perfektioniert wie der faule Familienvater aus der Zeichentrickserie «Die Simpsons». Obwohl das Phänomen laut dem Forscher weltweit verbreitet ist, ist es kaum erforscht. Der Grund: Kaum jemand gibt so bereitwillig wie Paulsens Gesprächspartner zu, dass er während der Arbeitszeit faulenzt.
«Kultur der Verlogenheit»
In vielen Unternehmen, so Paulsen, herrscht eine «Kultur der Verlogenheit». Denn ein Großteil der Arbeitnehmer macht seinen Job nicht einmal gern, sondern nur, um Rechnungen zu bezahlen. Gibt man das aber zu, verstößt man gegen die Regeln und läuft Gefahr, seinen Job zu verlieren. Paulsen schiebt die Schuld aber nicht nur den Arbeitnehmern zu. Denn oft ist das Faulenzen nicht einmal selbst verschuldet. Viele würden sich unterfordert fühlen, sich aber nicht trauen, ihrem Chef davon zu erzählen. Einer, der es wagte, hatte als Konsequenz davon plötzlich nur noch einen Teilzeit- statt einen Vollzeitjob – weil er seine Arbeit erklärtermaßen ja auch in kürzerer Zeit erledigen konnte.
Der Wissenschaftler spricht seine Zunft und übrigens auch sich nicht frei von den Vorwürfen. Er selbst, erzählt er in einem Interview mit der Zeitschrift Wirtschaftswoche, sei auf die Idee des Themas verlorene Arbeitszeit gekommen, als er in seiner Studentenzeit als Kondukteur gejobbt hat. «Ich war natürlich froh, weil ich Bücher lesen konnte. Doch ich stellte mir die Frage: Wie ist es möglich, dass ich dafür bezahlt werde, nichts zu tun?»
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Wirtschaftswoche
(L'essentiel/Laura Frommberg)